Partnerschaftsmodelle in der Baubranche
Partnerschaftsmodelle in der Baubranche
Ausgangslage
Große Bauprojekte, zumal komplexe Bauvorhaben im Hoch- und Infrastrukturbau, zeichnen sich im Regelfall durch besondere bau- und bauverfahrenstechnische Anforderungen, eine hohe Anzahl von Projektbeteiligten und einen entsprechend hohen Projektmanagement- bzw. Steuerungsaufwand aus. Die Konsequenz ist nicht allein ein ausgeprägtes
Projektrisikoprofil und eine hohe Konfliktgeneigtheit der Planungs- und Baudurchführung.
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob konventionelle Projektabwicklungsformen für komplexe Großbauvorhaben noch adäquat sind, um den Projektanforderungen mit zunehmend knappen Ressourcen aller Beteiligten stabil und erfolgreich abzuwickeln oder ob neue, effizientere Modelle erforderlich werden. Verstärkt diskutiert werden vor diesem Hintergrund Modelle einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit der Projektbeteiligten im Sinne einer Wertschöpfungspartnerschaft, die auf eine Harmonisierung der Interessen, einen koordinierten und effizienten Ressourceneinsatz abzielt und dies mit einer Beteiligung aller Partner am wirtschaftlichen Projektergebnis belohnt.
Partnerschaftliche Modelle
Internationale Vorbilder solcher kooperativen Ansätze sind die frühzeitige Einbindung von bauunternehmerischem Wissen (»Early Contractor Involvement«) oder die »Integrierte Projektabwicklung – IPA«. In Deutschland werden in der jüngeren Vergangenheit erst seit etwa 2019 erste Großprojekte auf dieser Basis der Integrierten Projektabwicklung realisiert. Exemplarisch kann hier die Sanierung der Kattwykbrücke (Hub-Brücke) in Hamburg (Bauherrschaft: HPA – Hamburg Port Authority) benannt werden (siehe Foto).
Kernelemente der Integrierten Projektabwicklung sind folgende:
- Wertschöpfungspartner
- Gemeinsame Projektzielverantwortung
- Gemeinsame Erarbeitung und Umsetzung der
Realisierungslösung - Integrierte Projektorganisation
- Gemeinsame Entscheidungen und Konfliktlösungen
- Gemeinschaftliches und gesamtheitliches Projektcontrolling
- Kompetenz- und Ressourcenbasierte Leistungserbringung
- Selbstkostenerstattung und ergebnisorientierte Vergütung
Grundprinzip der Vergütung
Zusammengefasst dargestellt, lassen sich IPA Projekte auf zwei Phasen reduzieren:
1. Phase - Planung und Zielpreisermittlung
2. Phase - Planung und Bauausführung
In der ersten Phase werden alle Aufwendungen im Rahmen der Selbstkostenerstattung (inkl. Gewinn) vergütet. Am Ende dieser Phase soll ein gemeinsam entwickelter Zielpreis stehen.
In der zweiten Phase werden weiterhin alle Aufwendungen im Rahmen der Selbstkostenerstattung (inklusive Gewinn) vergütet mit dem Unterschied, dass die Kosten (Personal-, Planungs- und Herstellungskosten) jetzt gegen den Zielpreis laufen. Wird der Zielpreis unterschritten, werden die nicht ausgeschöpften Budgets als Leistungsgewinn zwischen den Parteien nach einem vertraglich vereinbarten Schlüssel aufgeteilt. Wird der Zielpreis hingegen überschritten, haften alle Partner gemeinsam, jedoch nur in den Grenzen ihrer wirtschaftlichen Tragfähigkeit.
Basierend auf diesem Prinzip existieren diverse Gestaltungsoptionen, um den Umgang mit Zielpreisunter- oder -Überschreitungen nach den jeweils spezifischen Anforderungen eines Projekts zu regeln. Das Modell erfährt seine Akzeptanz dadurch, dass über alle Projektphasen hinweg ein gemeinsames Risiko- und Chancenmanagement durchgeführt wird und die in der 1. Phase ermittelten Risikobudgets in Form von sog. Projektwagniskosten bereits im zu vereinbarenden Zielpreis abgebildet werden. Die gemeinschaftliche Projektergebnisbeteiligung aller Partner fördert die wirtschaftliche Motivation, den Zielpreis einzuhalten und bestenfalls zu unterschreiten.
Aktuelle Herausforderungen
Ein wesentliches Hindernis für die Verbreitung integrierter Modelle war bislang insbesondere das Fehlen praktischer Erfahrungen sowie von Klarheit über vergaberechtliche Rahmenbedingungen in Deutschland. Bauherren begegneten den neuen Modellen deshalb mit Zurückhaltung – mit der Folge, dass zunächst keine Projekte umgesetzt wurden und somit auch Erfahrungswerte nicht generiert werden konnten. Erst mit den seit 2019 auf den Weg gebrachten Pilotvorhaben konnte dieses Hemmnis überwunden werden. Die Modellkonzeption wird seither im praktischen Einsatz überprüft, die Pilotprojekte und die Beteiligten werden in weiten Bereichen durch das Fachgebiet Bauwirtschaft und Baubetrieb der Technischen Universität Berlin begleitet.
Die Implementierung partnerschaftlicher Modelle erfordert sowohl einen kulturellen Wandel in der Zusammenarbeit (regelmäßige gemeinsame Präsenzmeetings; vorzugsweise in einem Gemeinschaftsbüro – sog. CoLocation), als auch eine tiefgreifende organisatorische Neujustierung, beginnend in der Vorbereitung und Durchführung der Vergabeverfahren (z. B. Assessmentcenter als Bestandteil des Verfahrens für leitende Projektbeteiligte). Parallel zur Vergabe der Planung werden je nach Art des Verfahrens bereits Baupartner ausgewählt. Dieses besitzt für den Vorteil, dass eine bessere Verzahnung zwischen Planung und Ausführung erfolgt. Die regelmäßigen Präsenzmeetings der Projektbeteiligten fördern Kommunikation und Kooperation. Es unterstützt die Entwicklung von Innovationen, beugt Informationsverlusten vor und verbessert die Qualität der Planung, was wiederum die Termin- und Kostensicherheit steigert. Für ausführende Unternehmen bedeutet die Einbindung nicht zuletzt auch eine Reduktion von Ausführungsrisiken, kann doch die Planung rechtzeitig auf die favorisierte Bauverfahrenslösung ausgerichtet werden. Planungsfehler lassen sich zudem vglw. frühzeitig identifizieren und korrigieren. Bauabläufe können bereits in frühen Planungsphasen mit bedacht und einschließlich kritischer Bauzwischenzustände fundiert in die Planung integriert werden. Baustelleneinrichtungen, Baulogistik, Bauphasen oder verkehrliche Sperrpausen lassen sich ggf. bereits im Vorfeld genehmigungsrechtlicher Verfahren vorausplanen und damit ausführungssicher optimieren. Damit diese positiven Effekte auch entstehen und im Projekt zum Erfolg führen, ist auch von Seiten der ausführenden Firmen das Personal in der Planungsphase bereits abzustellen.
Von der Schiene über Wasserstraße zur
Straßen- und Energieinfrastruktur
Das »Partnerschaftsmodell Schiene« – maßgeblich mitentwickelt durch das Fachgebiet Bauwirtschaft und Baubetrieb – wird in Form eines IPA-Modells der Deutschen Bahn AG seit 2021 in verschiedenen Pilotvorhaben eingesetzt, etwa beim Projekt »Neues Werk Cottbus« (siehe Bild). Positive Erfahrungen und erste Erfolge der integrierten Zusammenarbeit wecken inzwischen branchenweit reges Interesse. Aktuell werden am Fachgebiet deshalb spezifische Partnerschaftsmodelle für die Straßen-, Wasserverkehrs- und Energieinfrastruktur weiterentwickelt und in Zusammenarbeit mit den jeweiligen Bauherren umgesetzt.
Die besonderen Projektrahmenbedingungen im Infrastrukturbereich erfordern hierbei zumeist eine sparten- und ggf. auch bauherrenspezifische Neues Werk Cottbus Visualisierung: © DB Fahrzeuginstandhaltung GmbH Modellgestaltung. Planungs- und Bauphasen sind im Vergleich zum Hochbau oft deutlich langwieriger und mit höheren Risiken behaftet, zuwendungs bzw. haushalts- und vergaberechtliche Rahmenbedingungen erfordern besondere Aufmerksamkeit, und auch die technischen Anforderungen zwingen nicht selten zu hochspezifischen, innovativen Lösungen, speziell beim Bauen im Bestand und unter Aufrechterhaltung der Verfügbarkeit von Infrastrukturanlagen.
Neben der spartengerechten Weiterentwicklung von Partnerschaftsmodellen richtet sich der Forschungsfokus auch auf die Organisation und Strukturierung der Projekte vom Start (auf der Bauherrnseite) über die Vergabephase, die Ausführung bis zum Projektabschluss. Das Projektcontrolling mit dem Maßstab eines effizienten Ressourceneinsatzes aller Projektpartner bildet bei laufenden Projekten aktuell einen besonderen Schwerpunkt in der Forschung und in der Projektbegleitung.
Fazit
Ziel der partnerschaftlichen Projektabwicklung ist es, komplexe Bauvorhaben durch frühzeitige Einbindung der maßgeblichen Wertschöpfungspartner und ihre Beteiligung am Projektergebnis zügiger, wirtschaftlicher, zumindest aber kosten- und terminstabiler umzusetzen als dies im Regelfall mit konventioneller Projektabwicklung gelingt.
Angesichts mittel- bis langfristig wohl weiterhin knapper Ressourcen bei Bauherren, Planern und Bauunternehmen können Partnerschaftsmodelle deshalb einen wesentlichen Beitrag zum Gelingen der heute und in der Zukunft anstehenden Bauaufgaben leisten – mit einem letztlich auch gesellschaftlichen Mehrwert.
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