Daniel Anger

Ressortleiter Politik und Kommunikation
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Ein Ort mit bewegter Geschichte - die Villa Herpich in Neubabelsberg

Es gibt Orte, an denen sich Geschichte wie in einem Brennglas konzentriert. Die Villa Herpich in der Neubabelsberger Villenkolonie ist so ein Fall.

Ihren Ausgang nimmt die Geschichte Anfang des 20. Jahrhunderts, als viele großbürgerliche Berliner Familien in die neugegründete Villenkolonie Neubabelsberg zogen. Sie versprachen sich exklusives Wohnen in idyllischer Lage abseits der hektischen und lärmbelasteten Großstadt. Unter ihnen befand sich auch der Inhaber des Pelzhandels C. A. Herpich & Söhne. Seine Familie baute 1910/11 auf der Kaiserstraße eine großzügige Villa mit direktem Zugang zum See und befand sich fortan in vornehmer Nachbarschaft zwischen Unternehmerfamilien, Vorständen von Banken und Stars des Babelsberger Filmbetriebs. Zu dieser Zeit ahnte noch niemand, dass die Villenkolonie einmal Schauplatz der Weltpolitik werden sollte.

Denn gerade die Lage Potsdams – nahe bei Berlin und doch weniger zerstört – machte die Stadt am Ende des Zweiten Weltkriegs zu einem zentralen Verhandlungsort. Hier trafen sich nach der deutschen Kapitulation die Siegermächte USA, Vereinigtes Königreich und Sowjetunion, um über die europäische Nachkriegsordnung zu verhandeln. Die Sowjetunion trat als Gastgeberin auf und beschlagnahmte die zur Durchführung benötigten Gebäude im Potsdamer Stadtgebiet. Betroffen war zum einen das Gebiet um den Tagungsort Schloss Cecilienhof im Neuen Garten und zum anderen die Villenkolonie Neubabelsberg, die als Wohnort der Staatsgäste vorgesehen war. Zu diesem Zweck mussten die Anwohner ihre Häuser binnen kürzester Zeit verlassen; die Gebäude wurden vom sowjetischen Militär ausgeräumt.

So erging es auch der Witwe des Pelzhändlers Herpich, denn ihre Villa sollte einen ganz besonderen Gast beherbergen: Der sowjetische Diktator Josef Stalin residierte dort im Juli und August 1945. Auch US-Präsident Harry S. Truman und der britische Premierminister Winston Churchill wurden in Neubabelsberger Villen einquartiert. Die Kolonie war während der Potsdamer Konferenz in drei Besatzungszonen unterteilt.

Die Konferenz markierte einerseits das Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa, andererseits bildete sie den Ausgangspunkt für den Kalten Krieg, die Teilung Europas und der Welt in Interessensphären sowie den Eintritt ins Atomzeitalter. Während der Konferenz war der Krieg in anderen Teilen der Welt, insbesondere im Pazifik, noch nicht beendet.

Nachdem die Potsdamer Erklärung vom 26. Juli 1945 – ein Ultimatum zur bedingungslosen Kapitulation – vom japanischen Kaiserreich ignoriert worden war, folgten die Atombombenabwürfe der USA auf Hiroshima und Nagasaki. Umstritten ist, ob US-Präsident Truman noch während seines Aufenthalts in Potsdam den Befehl zum Abwurf der Atombomben gab oder kurz darauf. Europa sollte noch Jahrzehnte durch den »Eisernen Vorhang« geteilt sein, der die westlich orientierten Staaten mit marktwirtschaftlichen Systemen von den kommunistischen Ländern trennte.

Stalins Wohnstätte in der ab 1945 nach Karl Marx benannten Straße wurde auch nach der Konferenz weiter vom sowjetischen Militär genutzt. Bald zierte den Eingangsbereich eine Gedenktafel mit der Aufschrift »Josef Wissarionowitsch Stalin, der große Schüler Lenins und Fortsetzer seines Werkes, wohnte und arbeitete in diesem Haus.« Anfang der 1950er Jahre richtete man im ehemaligen Tagungsort Schloss Cecilienhof sowie in der inzwischen als Stalinhaus bezeichneten Villa Herpich eine Gedenkstätte ein, die die Rolle der Sowjetunion im Kampf gegen Hitler betonte und stark vom Personenkult um Stalin geprägt war. Als nach dem Tod des Diktators immer mehr seiner Verbrechen offenkundig wurden, wurde die Ausstellung in der Villa geschlossen. Fortan nutzte sie die Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft – eine Art Kaderschmiede für Eliten der DDR. Ein paar Jahre später bezog die Hochschule für Film und Fernsehen – die Vorgängerinstitution der Filmuniversität Babelsberg – das Gebäude. Sowohl die Akademie als auch die Hochschule nutzten in der Villenkolonie zahlreiche Bauten. Der einstige Wohnort großbürgerlicher Eliten war zu einer Art abgeschirmten Ausbildungszentrum unter starker staatlicher Bewachung geworden. Den Griebnitzsee durchdrang die innerdeutsche Grenze. Die prachtvollen Gärten der Villen wurden für den Grenzstreifen dezimiert, Fenster zur Seeseite zugemauert.

Im Zuge der deutschen Einheit wurde die Villa an die Erben des Pelzhändlers Herpich zurückgegeben. Das Mobiliar ist immer noch verschollen. Die Familie verkaufte das Gebäude 1994 an den Bauindustrieverband, der es sanierte und bis heute nutzt.

Noch in der Nachkriegszeit wurde die Gedenktafel im Eingangsbereich durch eine neue Tafel ersetzt, die an die bewegte Geschichte des Ortes erinnert: »In diesem Hause wohnte während der Verhandlungen der Alliierten zum Potsdamer Abkommen vom 17. Juli bis 2. August 1945 die sowjetische Delegation unter der Leitung von J. W. Stalin.«

 


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